Hedwig Hering, geboren 1959

VITA - Lyrisch verwurzelt, einfach so ...

 

Einfach so wurde mir bei meiner Geburt als Zweitgeborene von vier Kindern auf einem bäuerlichen Hof frühmorgens, knapp nach der Stallzeit, eine musische Ader mit in die Wiege gelegt. Freilich bemerkte das im landwirtschaftlichen Getümmel niemand. So war es auch nichts Aufregendes, dass ich als Fünf- bis Sechsjährige schon alleine durch das Achthundertseelendorf stapfte und betagten Menschen selbstzusammengeschusterte Verse und Liedchen vortrug. Neigungen nicht von ungefähr. Denn meine Mutter, eine Schneiderin und Bäuerin, pflegte hoch-motiviert für Familienfeiern zu dichten. Und mein Vater sang an Festtagen in der Dorfkirche Soli von der Empore herab, mit einer so feinen Tenorstimme, dass die Gemeinde mucksmäuschenstill dasaß. Schulisch war ich nie ein Problemkind. Ich sah mich als ganz normal an. Das änderte sich schlagartig mit dem neuen Dorfschullehrer in der fünften Klasse. Er stufte mich als unterfordert ein und legte meinen Eltern den Wechsel auf eine höhere Einrichtung nahe. Dadurch landete ich auf einem fünfzig Kilometer entfernten musischen Gymnasium mit Internatsunterbringung von ausschließlich Mädchen, geführt von Franziskanerschwestern. An diesem Ort blühte ich regelrecht auf und hatte das Gefühl, geballt kreative Wurzeln zu schlagen. Ich lebte mich aus und konnte sein und bleiben, wie ich war, aufgeweckt, gewissenhaft und beherzt, stets gepaart mit meinem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Alles, was mir auf künstlerischer wie auch musikalischer Ebene lieb und wichtig war, wurde gefördert. Parallel zum Schulbetrieb begann ich nach und nach meditative Essays, Gedichte und Liedtexte für Jugendgottesdienste samt Vertonung zu schreiben. Dabei fiel mir auf, dass ich Menschen emotional anzusprechen vermochte. Das berührte mich sehr. Nach dem Abitur, im Textildesignstudium, wich das Dichten allerdings einer Art Poesie aus Zeichenstift und Farbe. Späteres intensives, berufliches Engagement legte jahrelang eine immer dickere verdorrte Kruste über die lyrische Stimme in meinem Inneren. Erst mit der Geburt meiner beiden Kinder, Mitte dreißig, vollzog sich in mir eine Wende gleichsam einer geistigen Auferstehung. Ich schrieb wieder, schrieb mich zurück zu mir selbst. Ich dachte mit dem Blatt Papier unter meiner Hand, hielt fest, was ich fühlte und wahrnahm. Das Schreiben wurde zum Instrument der Selbstanalyse und zum lösungsorientierten inneren Botschafter. Es war mir forschender Archäologe, in die Tiefe gehend, ausgrabend und Zusammenhänge aufzeigend, und ist es noch. Unermüdlich bestellt es meinen inneren Garten, in dem viel heilsames Kraut, winterharte blühende Besonderheiten und sturmgeprüfte Gehölze immer neue Wurzeln treiben. Es ist die Konstante der Liebe und des Friedens in mir, die nach außen strahlen will, mit all ihren Facetten, unaufhaltsam, einfach so.

 

 

 

Freude

 

Wenn das Unmögliche möglich wird

und Schweres federleicht,

wenn Farben schwirren um den Kopf

und Dunkel dem Licht entweicht,

wenn platzen möchte Herz und Geist

und Himmel greifbar scheinen,

dann pocht's in mir,

ich lebe ganz,

könnte vor Freude weinen.

Ganzheit

 

Sonnenstrahl und Schatten,

des Universums Frucht

liegt auf der Gräser Matten,

verzaubernd durch und durch.

 

Im hellgrün kühlen Scheinen

spiegelt die Sonne sich.

Die Wärme will mich heilen.

will schärfen meinen Blick.

 

Der schwebt zur Schattenstelle,

wo mich ein Glitzern mahnet.

Tautropen, feinste Perlen,

allheilige Diamanten.

 

Es mischt sich Wonn' und Wehmut

mit Lebenselexier.

In mir erwacht gar Demut

gleichsam der Weisheit Zier.

 

Ergriffen, stumm im Pochen

regt meine Seele sich.

Die Hände halte ich offen

als Korb für solches Glück.

 

Geschenkt, nicht eingefordert,

fällt es mir in den Schoß,

sanft alles überbordend

wie Laub auf weiches Moos.

 

Im Geiste knie ich nieder,

betäubt von all dem Glanz,

und senke meine Lider.

Blind weiß ich, ich bin ganz.

 

 

Ausschau

 

So groß der Berg,

weit reicht der Blick

über Wälder, Wiesen, Seen

über Straßen und Brücken

vorbei an Palästen

vorbei an Dörfern und Höfen.

Fest Stein auf Stein

ist alles erbaut,

überdauert

eines Menschen Leben.

Hoch ragen Türme,

Gefängnisse, Mauern

hinter Polizisten,

Demonstranten

und Kindern,

Ein Ball,

eine Waffe,

eine zertretene Blume...

Gedanken purzeln,

Gefühle schmerzen.

Wo bleibt das Glied,

das die Kette verbindet?

 

Allein im Menschen,

dem es gelinget,

den Sinn

in seinem Dasein

zu finden.

 

 

Morgenrot einer Liebe

 

Wach blickst du mir entgegen.

Ein Flirren bebt im Raum

wie Wogen, die ans Ufer streben

vom Meeresgrund zum Inselsaum.

 

Ich lasse es zu, obgleich verlegen,

und mag, was sich erhebt,

ein frischer Wind, das neue Wehen,

wie es sich auf mich zu bewegt.

 

Ein Lächeln zieht um meine Lippen,

entzerren will es mein Gesicht.

Ich blinzle stumm. Ich lass dich walten

und sonne mich in deinem Licht.

 

Verlier kein Wort zur Stunde!

Es fehlt mir kein Beweis.

Betört schau ich auf meine Wunden.

Ich sehe dich an

und weiß.